Motorsport-Magazin.com - Beim Formel-E-Rennen in Monaco ist eingetreten, was sich in den letzten Wochen angedeutet hatte: Pascal Wehrlein hat die Führung der WM-Tabelle verloren. Zum ersten Mal seit dem 28. Januar nach dem Rennen in Saudi-Arabien, reist der Porsche-Werksfahrer nicht als Spitzenreiter von einem ePrix nach Hause.
Titelrivale Nick Cassidy (Envision) hat Wehrlein mit seinem zweiten Saisonsieg in Folge und der fünften Podestplatzierung im Verlauf der letzten sechs Rennen geradezu überrollt. Der Neuseeländer mit seinem starken Jaguar-Kundenauto führt die Gesamtwertung mit 121 Punkten an. Wehrlein sammelte in den bisherigen neun Rennen 101 Zähler.
Hatte nach dem dominanten Saisonbeginn vieles auf einen Alleingang des früheren DTM-Champions und Formel-1-Fahrers hingedeutet, sind Wehrlein jetzt auch noch die Verfolger Jake Dennis (Andretti) im Porsche-Kundenauto, der titelhungrige Mitch Evans (Jaguar) und der zweifache Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne (DS Penske) gefährlich nahegekommen und bis auf neun Punkte herangerückt.
Wehrlein wäre in Monaco als Elfter beim Zieleinlauf beinahe komplett leer ausgegangen, profitierte aber von einer nachträglichen Strafe für den eigentlich Zehntplatzierten Sam Bird (Jaguar) nach dessen Abschuss von Nico Müller (Abt-Cupra) in der vorletzten Runde. Dennoch: Mit Antonio Felix da Costas 15. Platz (Unfall im Qualifying, Reifenschaden im Rennen) im zweiten Porsche, blieb der Sportwagenbauer aus Zuffenhausen einmal mehr hinter den hohen Erwartungen zurück. Auch in der Team-Gesamtwertung ist die Führung futsch.
Wehrlein: Der Abwärtstrend in Zahlen
Der Abwärtstrend schlägt sich auf Wehrleins Seite der Garage deutlich in der Betrachtung der nackten Zahlen nieder: Sammelte der gebürtige Sigmaringer in den ersten vier Saisonrennen mit einem Podestplatz in Mexiko und dem Doppelsieg in Saudi-Arabien 80 Punkte, errang er in den folgenden fünf Rennen in Kapstadt (Ausfall), Sao Paulo (P7), dem Double-Header in Berlin (P6 / P7) und Monaco (P10) nur noch 21 weitere Zähler.
Acht Punktefahrten in neun Rennen klingen in der oftmals unfallträchtigen Formel E eigentlich nach einer soliden Zwischenbilanz. Wehrleins Problem jedoch: Die Konkurrenz mit dem enorm starken Jaguar-Antriebsstrang macht inzwischen kaum noch Fehler und staubt regelmäßig die 'Big Points' ab. Jaguar-Autos in den Händen von Evans (Sao Paulo, Berlin I) und Cassidy (Berlin II, Monaco) gewannen die letzten vier Rennen und holten zudem neun von zwölf möglichen Podestplätzen.
Jaguar und Porsche in der Formel E: Bilanz nach 9/16 Rennen
Statistik | Jaguar | Porsche | Die weiteren 4 Hersteller |
---|---|---|---|
Siege | 4 | 4 | 1 |
Podestplätze | 11 | 10 | 6 |
Pole Positions | 3 | 0 | 6 |
Schnellste Rennrunden | 3 | 3 | 3 |
Führungsrunden | 156 | 84 | 92 |
Porsche-Leiter Modlinger: "Natürlich herrscht Druck"
"Pascal hat die WM bis zum letzten Rennen angeführt, natürlich herrscht Druck", sagte Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger. "Aber wir haben im ersten Teil der Saison gezeigt, dass wir auf unterschiedlichen Rennstrecken konkurrenzfähig sind. Jetzt befinden wir uns in der Mitte der Saison und müssen zurückschlagen. Es sind noch sieben Rennen zu fahren."
Eine Baustelle bei Porsche bleibt das Qualifying, wenngleich Wehrlein in den ersten fünf Rennen viermal aus den Top-10 startete. Die Resultate der vergangenen Wochen waren hingegen ernüchternd. Startplatz 18 in Sao Paulo, die Startpositionen 15 und 6 beim Heimspiel in Berlin, zuletzt in Monaco nur der 12. Platz. In der Formel E gilt: Wer zu Beginn eines Rennens viel Energie aufwenden muss, um weit nach vorne zu kommen, dem 'geht am Ende der Saft aus'.
"Das war das erwartet harte Rennen", blickte Wehrlein zurück. "Wir hatten uns für Monaco mehr erhofft und sind enttäuscht, dass wir das wahre Potential unseres Autos nicht zeigen konnten. Wir müssen uns jetzt wieder auf unsere Stärken besinnen und zu der Performance zurückfinden, die wir in diesem Jahr schon so oft gezeigt haben."
Porsche-Power: Kundenteam aktuell stärker
Für das ambitionierte Porsche-Werksteam einerseits hoffnungsvoll, andererseits ärgerlich: Jake Dennis im Andretti-Kundenauto zeigt, wie es auch anders gehen kann. Der Brite fuhr in Monaco zum zweiten Mal hintereinander aufs Podium und hat seine Durststrecke bestehend aus fünf Nullrunden in Folge ganz offenbar überwunden. "Aktuell achten wir nur darauf, unsere Frontflügel heil zu lassen", so Dennis. "Erst wenn es zurück nach Europa geht (Rom, London), schaut man über die Schulter was (in der WM-Tabelle) drum herum los ist."
Dennis allein kann gegen die Jaguar-Power-Übermacht an der Spitze aber nichts ausrichten, wie die geschickten Blockade-Strategien von Evans und Cassidy in Monaco eindrucksvoll untermauert haben. Es ist das gleiche Spiel, das ihrerseits Dennis und Wehrlein in den ersten Rennen des Jahres durchzogen und damit die dicken Punkte sicherten. Doch das Blatt hat sich nach Jaguars Katastrophenstart - 42 Punkte in den ersten fünf Rennen, 114 in den letzten vier - längst gewendet.
Dritter Jaguar-Doppelsieg in vier Rennen
Evans, der mit 94 Punkten und nur noch sieben Zählern Rückstand auf Wehrlein den vierten Gesamtplatz belegt: "Letztlich will man jedes Rennen gewinnen. Deshalb bin ich ein wenig enttäuscht, vor allem, weil es Monaco ist. Aber wenn man das Gesamtbild betrachtet, ist es eine großartige Punkteausbeute. Ein großes Lob an Nick - er hat mich zum richtigen Zeitpunkt überholt, in einem Moment, in dem ich nicht damit gerechnet habe."
Cassidy, von P9 gestartet und bereits in Runde 8 erstmals in Führung liegend, setzte das enorme Leistungspotenzial seines Jaguar-Kundenpakets wie schon in Berlin geradezu perfekt um. Zwölf Runden vor dem Zieleinlauf kassierte er Werkspilot Evans und hatte eine kleine Portion Glück, dass zwei späte Safety-Car-Phasen zu einem Vollgas-Rennen führten, in dem Überholmanöver mit einem sehr großen Risiko verbunden gewesen wären. Und so konnte sich Jaguar über den dritten Motoren-Doppelsieg in den vergangenen vier Rennen freuen.
Formel-E-Tabelle 2023 nach 9/16 Rennen
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
---|---|---|---|
1 | Nick Cassidy | Envision-Jaguar | 121 |
2 | Pascal Wehrlein | Porsche | 101 |
3 | Jake Dennis | Andretti-Porsche | 96 |
4 | Mitch Evans | Jaguar | 94 |
5 | Jean-Eric Vergne | DS Penske | 87 |
6 | Antonio Felix da Costa | Porsche | 68 |
7 | Sam Bird | Jaguar | 62 |
8 | Sebastien Buemi | Envision-Jaguar | 61 |
9 | Jake Hughes | McLaren-Nissan | 45 |
10 | Rene Rast | McLaren-Nissan | 40 |
11 | Stoffel Vandoorne | DS Penske | 28 |
12 | Maximilian Günther | Maserati-DS | 24 |
13 | Andre Lotterer | Andretti-Porsche | 23 |
14 | Sacha Fenestraz | Nissan | 19 |
15 | Lucas di Grassi | Mahindra | 18 |
16 | Dan Ticktum | NIO 333 | 18 |
17 | Norman Nato | Nissan | 11 |
18 | Sergio Sette Camara | NIO 333 | 10 |
19 | Oliver Rowland | Mahindra | 9 |
20 | Edoardo Mortara | Maserati-DS | 5 |
21 | Robin Frijns | Abt-Mahindra | 3 |
22 | Nico Müller | Abt-Mahindra | 2 |
23 | Kelvin van der Linde | Abt-Mahindra | 0 |